Eine unterschätzte Stadt.

Die Berliner Straße ist leer. Gegenüber ist eine Musik- und Kunstschule. Rechts und links wieder Neubauten, höchstens vierstöckig und mit farbigen Fassaden. Vor den Häusern fehlen die Bäume. Mit Bäumen wäre es eine Allee. Die Bushaltestelle, die ich am Bahnhof vermisst habe, finde ich hier. Gebogene Straßenlampen, ganz sicher aus der Nachwendezeit. Radweg neben Gehweg, rot neben grau, beide gepflastert. Die Fahrbahn ohne sichtbare Schäden. Es ist ungeheuer aufgeräumt.

Hier wird gewohnt und gearbeitet, verraten die Wohnhäuser, die Bürogebäude, die parkenden Autos. Aber dass so viele Menschen nicht das Bedürfnis haben, sich nach draußen zu setzen, in ein Café, meinetwegen vor eine Bäckerei oder einen Imbisswagen, überrascht mich. Es müsste doch Schichtdienste geben, und Frühstückspausen. Ich bin bis hierher an keiner Eckkneipe vorbeigekommen, an keiner Eisdiele, und der einzige Bäcker hatte zu. Immer noch hätte ich ganz gerne einen Kaffee.

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Bis vor zu den Uckermärkischen Bühnen bin ich gelaufen. Neugierig, weil ich das Haus im ersten Moment nicht erkannt habe, gehe ich drum herum. An ungefähr dieser Stelle stand einmal ein Schloss, lese ich. Davon ist nichts mehr übrig. Walter Ulbricht habe die Ruinen sprengen lassen, heißt es. Andere Quellen sagen, es sei ein Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung gewesen, die dem Ulbricht zuvor gekommen ist. Das war 1962. Und jetzt steht da eben ein Kulturhaus anstelle eines Schlosses. Weil den Schwedtern der Berliner Größenwahn abgeht, belassen sie es dabei. Ich wünschte mir, den Schwedtern ginge der Berliner Größenwahn ab und sie könnten es dabei belassen.

Den Barockpark hat Walter Ulbricht aber nicht sprengen lassen, und auch sonst niemand, weshalb das Kulturhaus von barocken Sandsteinplastiken und alten Bäumen umrahmt ist. Mit einem solchen Ensemble sollte Geschichte unterrichtet werden. 300 Jahre auf einen Blick. Berlin konnte das nicht: Mit seiner Geschichte leben, in der eben ein Palast der Republik vorkommt. Nicht schön, aber echt. Dann lieber ein Stadtschloss. Unecht, aber dekorativ. Schwedt hat am Oderufer, wo DDR-Architektur auf historische Schlossgitter prallt, gleich zwei Stücken Zeitgeschichte bewahrt. Vielleicht aus Versehen, vielleicht weil das Geld fehlt.

Der Uferweg hinter dem Park ist befestigt und baumbestanden. Flußlandschaft mit Schilf und Stegen. Die Stadtbrücke nach Polen. Möwengeschrei. Ein Restaurant mit Sitzplätzen draußen und Polderblick. Bänke, auf denen ich sitzen bliebe, wäre ich nicht verabredet. Wahrscheinlich habe ich gerade das schönste Stück Schwedt gefunden und keiner außerhalb von Schwedt weiß, dass es das gibt. In meinen Gedanken drängelt sich das PCK immer vor.

Ich muss umkehren und möchte lieber am Ufer lang als an der Straße. Bis zu einer kleineren Marina gelange ich. Wasserplatz ist ein guter Name für einen Platz, der am Wasser liegt. Im Zickzack durch die Häuserreihen. In einem Haus, das Kosmonaut heißt, frage ich, wo ich genau hin muss, denn Hausnummern werden hier sparsam verteilt und um Buchstaben ergänzt. Wie überall, wo Baulücken geschlossen wurden. Es ist das Quergebäude, und ich bin schon dreimal daran vorbeigelaufen.

Die Volkshochschule bietet in der unteren Etage Kurse an, die IHK ist vertreten – und eben das Investor Center Uckermark, da will ich hin. Die Regionalmarke Uckermark ist dort entstanden. Bis vor ein paar Wochen wusste ich noch gar nicht, was das ist: Eine Regionalmarke. Das Bild mit der Welle und dem Schriftzug „Uckermark“ fiel mir zuerst auf meiner Milchpackung auf, später fand ich es bei einer Seifenmanufaktur wieder. Touristische Informationsblätter in Lychen und Templin, ein Campingplatz, den ich mag, obwohl ich Camping nicht leiden kann, und ein Bootsverleih tragen es. Die Angermünder Buchhandlung verwendet es, ebenso die Apfelgräfin in Lichtenhain. Selbst das Petrolchemische Kombinat, das Odercenter und die Uckermärkischen Bühnen heften es sich ans Revers Das Uckermark-Logo sagt deutlicher als es ein Autokennzeichen je könnte, dass sie alle zusammengehören. Das haben sie für sich so entschieden. Lauter Uckermärker. Eine gemeinsame Identität, die daraus entsteht, dass man zusammen eine Eiszeitlandschaft besiedelt, aber nicht zu dicht beieinander. Ob das genügt?

Das Oderbruch zeigt nirgends solche Bestrebungen. Leipzig stellt sich ungeschickt an. Aber die Uckermark, trotz unscharfer Grenzen, die hat ein Zeichen für sich geschaffen. Deshalb warte ich jetzt auf Silvio Moritz. Der weiß alles darüber, denn er lenkt die Geschicke der Regionalmarke beinahe von Anfang an. Bis er kommt, unterhalte ich mich mit einer der Frauen aus dem Sekretariat und baue mein Zeug auf. Sie fährt lieber Auto, sagt sie. Das erklärt den Bahnhof. Sie macht mir Kaffee. Ich bin unendlich dankbar.

Schwedt als Teil der Uckermark zu begreifen, fällt mir schwer. Als wäre ein UFO gelandet, so beschrieb es der Schwedter Bürgermeister einmal. Silvio Moritz erklärt mir, woher das kommt. „Schwedt ist als der Industriestandort der Uckermark bekannt. Hier steht die Raffinerie, der Industriepark um die Raffinerie herum, hier stehen die Papierfabriken, hier sind große Metallbaufirmen.“ Was heute Uckermark heißt, war auf die Bezirke Frankfurt (Oder) und Neubrandenburg verteilt. Schwedt hatte den Status eines Stadtkreises. Etwas Besonderes war das. Es hat den Schwedtern ein Centrum Warenhaus beschert. Die gab es nur in den großen, in den wichtigen Städten. Die Brandenburger Kreisreform von 1993 hat Schwedt zurechtgestutzt. „Nicht nur die Landkreise Angermünde, Prenzlau und Templin wurden zur Uckermark zusammengefasst – sondern auch der Stadtkreis Schwedt. Schwedt wurde als normale Stadt in den Landkreis Uckermark eingegliedert.“ Das hat die Umsetzung schwer gemacht und gefällt bis heute nicht jedem. „Die Schwedter mussten das akzeptieren lernen, ebenso wie das ländlich geprägte Umfeld mit den Schwedtern zurecht kommen musste.“ Sie haben sich aneinander gewöhnt, die Uckermärker aus Schwedt und die aus den kleineren Städten und Dörfern. „Wir sind Uckermark – bleiben aber natürlich Schwedter, Angermünder, Prenzlauer oder Templiner.“

  3 comments for “Eine unterschätzte Stadt.

  1. Andrea Klenke
    1. April 2015 at 11:15

    Toller Text! Öffnet mir den Blick auf eine andere Sichtweise, danke dafür.

  2. 1. April 2015 at 15:24

    Dankeschön! Auf Facebook hat sich eine interessante Diskussion entsponnen, bei der noch auf ein interessantes Buch, das den Ausbau der Stadt nach 1959 thematisiert, hingewiesen wurde:

    http://www.amazon.de/Herrschaft-Stadtentwicklung-Lebensrealit%C3%A4t-sozialistischen-Industriestadt/dp/3861533960

    Oder, zum mal reinlesen: http://www.beck-shop.de/fachbuch/dokument/9783861533962_Review_001.pdf

    Ich glaube, das erklärt die Optik der Stadt ziemlich gut.

    • 27. April 2015 at 16:38

      Das Buch vom Springer-P. ist sogar ein ganz hervorragendes welches.
      Allerdings hat es trotz Faktenreichtum und Objektivität die Schwedter nicht überzeugen können (wäre aber bei Angermündern, Posemucklern und New Yorkern wohl nicht anders gewesen). Fremde haben es immer schwer, sich über Dinge zu äußern, ohne dass sich die “Eingeborenen” daran stören.
      Aber auch Springers Veröffentlichtung schafft es nicht ganz zu zeigen, was diese kleine Residenz- und Tabakstadt für eine Perle im Osten der Uckermark war. Bis, ja bis die Genossen darauf verfielen, alles den Berlinern nachzumachen. Das ging bis zum Import kompletter “Wohnscheiben”.

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